Kinder und digitale MedienLesezeit ~ 6 Min.

Von Torsten Seidel, 24. März 2019, aktualisiert am 26. April 2022.

Dürfen oder gehören Kunden an digitale Medien? Sind Computer, Smartphones und Tablets gut oder schädlich? Diese und ähnliche Fragen werden immer wieder diskutiert. Und die Antwort ist tatsächlich nicht so einfach.

Kinder und Smartphones – gibt es ein gesundes Maß?

Ich war vor ein paar Jahren zu einer Veranstaltung. Da sah ich mehrere Kinderköpfe nach unten auf dem Smartphone schauend auf dem Boden sitzend. Dieser Anblick ist nicht wirklich toll, meiner Meinung. Doch geistig richtet dies mehr an, als manche Eltern vielleicht denken, je nach Alter.

Kinder und digitale Medien
Kinder und digitale Medien

Viele Eltern glauben, gerade die ganz Kleinen könnten etwas lernen. Doch zeigt die Hirnforschung, dass bis zu einem Alter von 2 Jahren gar nichts passiert. Kleinkinder lernen nur, wenn ihnen ein Gegenstand gezeigt und wörtlich gesagt wird. „Sehen und Hören“ heißt hier die Devise. Außerdem muss der Tastsinn gelernt werden. Mit „Schieben“ und „Tippen“ lernen sie nicht, wie sich eine Tasse in der Hand anfühlt. Denkt man genauer darüber nach, dürfte das jeden klar sein.

Nebenbei in dem Zusammenhang auch umgedreht: Der für mich traurigste Anblick ist der, wenn eine junge Mutter ihren Kinderwagen schiebt, die Sicht zum Kind aber vom Smartphone verdeckt wird. Das Kind schaut auf die Mutter, sieht aber nicht das Gesicht, da es vom Handy verdeckt wird. Eigentlich hat es einen Sinn, dass das Baby nicht in Fahrtrichtung im Wagen sitzt… Dies bezieht sich natürlich in erster Linie auf Säuglinge, größere sitzen ja freilich in Fahrtrichtung.

Gefahren vorwiegend für größere Kinder gibt es natürlich auch, die schnell vergessen werden: Gewalt, Sexismus, Pornografie, Mobbing, um nur einige zu nennen. Das Internet ist voll davon und die Suchmaschinen helfen ohne FSK beim Suchen…

Zeit begrenzen für Kinder am Computer?

Bunte Grafiken, spannende Spiele. Es gibt viele Games, die nicht nur Kinder am PC fesseln und nicht mehr loslassen. Dies stellt ein großes Suchtpotenzial dar. Angesichts dessen rate ich bei Kindern generell von Computern ab. Dies gilt auch für Smartphones, schließlich sind das im technischen Sinne nur mobile Computer mit Telefon-Funktion. Neben dem Suchtpotenzial kommen weitere mögliche Gefahren hinzu: Eine mögliche Kurzsichtigkeit durch den geringen Abstand zum Display und Schlafprobleme durch blaues Licht.

Empathielosigkeit ist ebenfalls eine Gefahr der neuen Technik. Wenn Kinder (und Jugendliche) ihr Gegenüber nicht mehr sehen können, wie sollen sie dann Gestiken und Gefühle einordnen? Um empathisch, also mitfühlend zu sein, muss auch der zwischenmenschliche, persönliche Kontakt bestehen. Als Erwachsener haben wir das bereits gelernt und können es eigentlich nicht verlernen. Jedoch habe ich nicht selten das Gefühlt, dass das Erlernte verloren gehen kann. Kommuniziert man ausschließlich mit elektronischen Mitteln, verkümmert diese wichtige Eigenschaft. Smartphones können aber auch den Narzissmus fördern. Wer hat früher ständig von sich selbst Fotos gemacht? Heute sind Selfies allgegenwärtig. Dies kann natürlich ebenfalls die Persönlichkeit verändern.

Zurück zu der Frage, ob es reicht die Zeit zu begrenzen. Jein. Experten der Hirnforschung empfehlen ganz klar, bis zum mittleren Schulalter auf Smartphone und PCs zu verzichten. Vielleicht sollte dies in Elternabende thematisiert werden, dass alle Eltern am gleichen Strang ziehen, wenn es nicht bereits zu spät ist. In diesen Zusammenhang ein Beispiel, das zu denken gibt:

Die Chefs der führenden Software- und Computer-Unternehmen wie Google, Apple, Microsoft, HP, …, ziehen in einer Sache scheinbar an einem Strang. Bill Gates hat seinen Sohn erst mit 14 ein Smartphone gegeben. Die größten Unternehmen schicken ihre Kinder in einer Waldorfschule OHNE Computer oder sonstigen Kommunikationsmitteln. Der inzwischen verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs hat seinen Kindern verboten, das iPhone und iPad zu benutzen. Und das bis in das Jugendalter hinein. Wenn einer auf seinen Produkten stolz war, dann er. Und doch war ihm wie den anderen Chefs auch die Gefahr nicht unbekannt und sie schützten ihre Kinder davor.

Studien bestätigen dies ganz klar. Gibt man Schulkindern ein Smartphone, sinkt die Leistung ab. Haben sie kein Smartphone mehr, steigt die Leistung bei lernschwachen Schülern. Natürlich hat es in jederzeit auch lernschwache Kinder und Jugendliche gegeben. Doch die neue Technik kann dies den Studien zufolge verschlimmern.

Schon die Anwesenheit eines Smartphones kann Stress auslösen (warten auf Nachrichten, Reaktionen), die die Konzentration blockiert, wenn es sich bereits um Dauerstress handelt. Südkorea hat hier schon mehr verstanden: Dort ist es inzwischen für alle Smartphone-Nutzer unter 19 Jahren Pflicht, eine App zu installieren, die die Online-Zeit überwacht und ab einer bestimmten Uhrzeit Jugendgefährte Inhalte sperrt. Außerdem werden die Eltern per App informiert, wenn eine Zeit überschritten wird. Dies ist gesetzlich vorgeschrieben.

Die Handschrift geht verloren

Ein Aspekt, auf den ich noch nicht eingegangen bin, ist die Handschrift. Ich bin ehrlich: Mir fällt es inzwischen schwer, handschriftliche Notizen zu machen, die ich später auch noch lesen kann 😉 . Wenn ich dann höre, dass bereits seit 2013 in 46 von 50 US-Staaten ab der 4. Klasse die handschriftliche Ausarbeitung nur noch nebenbei freiwillig unterrichtet wird, fehlen mir die Worte. Stattdessen muss ein Schüler der 4. Klasse das 10-Finger-Tippen beherrschen. Man kann nur froh sein, dass die Digitalisierung unserer Schulen noch nicht so weit fortgeschritten ist…

Letzter Gedanke

„Man kann sich den neuen Gegebenheiten nicht ganz entziehen“, so etliche Eltern. Ich muss wieder von mir ausgehen. Seit 2006 bin ich online selbstständig. Ich bin in der Lage, alles online abzuwickeln, wenn ich denn will. Doch ich habe bis ins zweite Lehrjahr (als Energieelektroniker, wo auch SPS-Programmierung eine Rolle spielt) hinein keinen PC gehabt. Dies war Anfang 2000. Zu dem Zeitpunkt hatten meine Mit-Lehrlinge fast alle einen PC zu Hause und kannten sich auch entsprechend gut aus. Mir hatte damals ein Schulfreund sehr geholfen, sodass ich kaum Defizite hatte, abgesehen, dass es in der Mittelschule ab der Neunten! Klasse PC Informatik gab. Dass ich den ersten PC dann erst nach meiner Volljährigkeit gekauft habe, sehe ich heute nicht als Nachteil an.

Trotzdem sehe ich natürlich, dass Eltern ein Maß finden müssen, die Technik ab einem gewissen Alter nicht verbieten können. Das bringt (leider) die Zeit mit sich.

Bei all den vernichtenden Kritiken hat das Netz natürlich auch seine guten Seiten. Aber es gehört ein verantwortungsvoller Umgang dazu. Ich arbeite im Netz. Ohne Internet kein Geld. Doch übertreibe ich es, spüre ich das ganz genau. Und zwecks Kommunikation Eltern <-> Kinder kann es natürlich auch von Vorteil sein, sofern das Smartphone bis zu einem gewissen Alter kein mobiles Internet hat (und zu Hause nicht permanent online ist). Hier hilft es, wenn man dem Router einfach ab einer bestimmten Zeit das WLAN abschalten lässt.  Das Smartphone sollte als „Werkzeug“ angesehen werden. Inzwischen kann man auch alles Mögliche damit machen. Als Hilfsmittel, ohne stundenlang daran zu sitzen, ist es ja für Erwachsene durchaus sinnvoll und eben verantwortungsbewusst nutzbar.

Video-Empfehlung zum Thema

Ich empfehle den Gehirn-Forscher Manfred Spritzer. Er ist ärztlicher Direktor der Uni-Klinik Ulm für Psychiatrie und Psychotherapie und weiß, wovon er spricht. Natürlich wollen viele nicht hören, was er sagt. Entsprechend Gegenwind weht ihm entgegen.

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Bild: geralt / pixabay.com

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Torsten Seidel Hier schreibt: Torsten Seidel
Gesundheits-Blogger mit Ausbildung zum ganzheitlichen Gesundheitsberater (fachliche Bez.: »Fachkompetenz für holistische Gesundheit«) mit Weiterbildung in Stressmanagement (IHK). Mehr Informationen in »Über mich«. Gern beantworte ich auch Leserfragen. | Beiträge abonnieren mit RSS-Feed.

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